Früher, als du klein warst, warst du überzeugt, deine Eltern wüssten alles.
Sie waren der Mittelpunkt deiner kleinen Welt.
Was sie sagten, war richtig.
Du warst sicher auch mal anderer Meinung, aber irgendwann stellte sich doch immer raus, dass sie Recht hatten mit ihren Ansichten oder Warnungen.
Und was sie dir über dich vermittelten, war die Wahrheit.
Vielleicht haben sie dir gesagt:
Du bist toll.
Du bist liebenswert.
Du bist unser Schatz.
Egal was du vorhast, du wirst es schaffen.
Du wirst es gut machen.
Und wenn mal doch was nicht gelingt, haben wir dich trotzdem lieb.
Du bist eine Bereicherung.
Es ist schön, Zeit mit dir zu verbringen.
Wenn das so ist, kann ich dir sehr gratulieren. Solche Eltern sind wunderbar. Du brauchst hier nicht mehr weiter zu lesen.
Vielleicht haben sie dir aber auch vermittelt:
Du bist seltsam, wir verstehen dich nicht.
Du bist wehleidig.
Mit dir kann man nichts anfangen.
Du bist ja ein Riese, haha!
Wir werden froh sein, wenn du endlich aus dem Haus bist.
Du bist selber Schuld, wenn dir was nicht gelingt.
Was du zu erzählen hast, interessiert uns nicht.
Steh wieder auf, das tat doch nicht weh.
Hör auf zu heulen!
Außerdem bist du viel zu dick, kein Wunder, dass das nicht geklappt hat.
Weil deine Eltern die Wahrheit sagten, schließlich wussten sie alles, war das die Wahrheit für dich. Du hast es für WAHR genommen.
Fakt ist: Deine Eltern wussten nicht alles. Kein Mensch weiß alles.
Das, was sie dir erzählt haben, was du für WAHR genommen hast, das war nicht WAHR. Es war eine Lüge.
Du bist nicht so, wie sie gesagt haben.
Wenn du eine gute ehrliche Freundin hast, frag die mal, was sie über dich denkt.
(Männer dürfen gerne den guten ehrlichen Freund fragen.)
Hält sie dich für wehleidig? Denkt sie, du bist zu dick?
Du kannst auch einen Psychotherapeuten oder Seelsorger fragen. Die wissen alle, dass sich die Worte, die man in der Kindheit und frühen Jugend gesagt bekommt, am tiefsten einprägen. Und deshalb am schwersten zu
ertragen sind. Und am schwierigsten wieder loszuwerden sind.
Oder du fragst Gott.
Es ist nämlich so, dass er dich erfunden hat. Noch bevor du geboren warst, hat er schon über dich nachgedacht. Er hat dich im Mutterleib gestaltet. Er liebt dich, denn er hat sich was dabei gedacht, dich so zu machen. Es hat einen Grund, dass du klein bist, dass du wilde Locken hast, dass du alles mit links besser kannst, dass du dir in fast jedem Türrahmen den Kopf stößt (die Dinger sind einfach zu niedrig), dass deine Nase groß ist und das Kinn nicht, dass man denken könnte, du wärst zu klein für dein Gewicht. Genau so wollte er dich haben. Genau so hat er dich lieb.
Denn du bist großartig. Du bist ein liebenswerter Mensch und es macht Spaß, Zeit mit dir zu verbringen. Es ist angenehm, sich mit dir zu unterhalten.
... Hm, glaubst du nicht?
Denk dir mal, du hättest doch keinen einzigen Freund, niemanden, der dich zum Frühstück oder ins Kino einladen würde, wenn du echt so seltsam wärst.
Niemanden, der mit dir lacht, wenn du fröhlich bist und niemanden, der mit dir weint, wenn es dir schlecht geht.
Fang heute an, dich anders wahr zu nehmen. Stück für Stück. Genau wie du Botschaften aus der Werbung irgendwann übernimmst, weil du sie oft genug gelesen hast und sie dir schließlich richtig vorkommen, kannst du auch dich selber überzeugen, dass das, was deine Eltern WAHR nannten, nicht WAHR ist.