Wenn du Prosa schreibst, hast du nicht nur die Wahl: lasse ich meine Geschichte "hier" stattfinden oder anderswo? Du kannst auch entscheiden, ob es den Ort überhaupt gibt oder nicht.
Wenn du einen Ort erfinden willst, kannst du das auf verschiedene Weise tun. Willst du nicht den ganzen Kontinent, die Zeit, die Kultur und alles drumrum erfinden, da du kein Fantasy schreibst, kannst du einen Ort nehmen, der bereits existiert und ihn umbenennen.
So mache ich das meist, um mir auf der einen Seite nicht alles ausdenken zu müssen und auch auf Lokalkolorit zurückgreifen zu können, auf der anderen Seite aber auch mehr Freiheiten zu haben als wenn ich mich strikt an die Vorlage halten müsste.
Das Dellmannshausen bei "Papabulle und Prinzessin" heißt in Echt Wermelskirchen. In der Geschichte der Stadt hat es einst einen Pastor Dellmann gegeben, und nach ihm nennen sich die Ur-Wermelskirchener "Dellmänner". Doch auch mit weniger Hintergrundwissen kannst du dir einen Ort ausdenken. Schau auf der Landkarte, wo du ihn gerne hättest, und dann nimm ein paar umliegende Ortschaften und setze aus ihren Namen einen neuen zusammen.
Jeremys Heimatstadt und auch seine Lieblingsinsel haben ihre Namen so erhalten. Das IJsselmeer hieß früher Zuyderzee, was lag näher, die Stadt danach Zuiderkerk zu nennen? Wenn du ein bisschen aufmerksam liest, wirst du wissen, welche Stadt es im Original ist.
Mit den neuen Namen kannst du natürlich auch spielen.
In einem nicht realisierten Projekt hatte ich zwei Hauptpersonen, die eine aus Remlingen, die andere aus Solscheid -- zwei erfundene Stadtnamen. In einer Passage entwickeln die beiden die Utopie, dass ihre beiden Städte möglicherweise eines Tages zu einer Stadt zusammenwachsen und man die neue Stadt dann vielleicht Remscheid oder Solingen nennen könnte.
Vielfach sind das Insiderspäße, die sich nur dir oder einem kleinen Leserkreis erschließen, aber warum denn nicht? Wahrscheinlich enthalten alle Romane solche Insider, über die der Außenstehende hinwegliest.
Wenn du den Ort ganz und gar erfindest, leg einen Lageplan an, damit du Entfernungen einschätzen und Häuserzeilen beschreiben kannst -- und die Nachbarhäuser auch am Ende der Geschichte immer noch an ihrem Fleck stehen. Wenn du deine Szenen nicht mit dem Tunnelblick, sondern mit dem Weitwinkel "filmst", macht es sich überhaupt gut, in den Ortsbeschreibungen auf das einzugehen, was für den Verlauf der Geschichte zweitrangig ist; zum Beispiel das Fachwerk-Erkerchen, das wie eine kleine Nase aus der Fassade ragt. Das schafft ein plastisches Bild und den Eindruck, du seist dort gewesen. Damit transportierst du das Gefühl eines Ortes, machst die Bilder dreidimensional.
Adventsreihe :: Beobachten
vor 1 Tag
ach ja, noch eine Variante der Orts-Erfindung gibt es. Man nimmt eine vorhandene Stadt und sagt einfach ihren Namen nicht.
AntwortenLöschenMeine Geschichte um Lorenz und Carina spielt in [hmhmhm], und bis jetzt habe ich es geschafft, nur Stadtteile zu nennen. Ich weiß noch nicht, ob ich das bis zum Schluss durchziehen kann, aber -- kucken wir mal!