"Chillst du es?" Das wird die himmlisch geerdete Sonja von ihrer vierjährigen Tochter gefragt. Was damit gemeint ist, ist ihr nicht klar, mir beim Lesen auch nicht, aber ich fühle es. Ich chille es.
Ich chille die langen Wanderungen hierhin und dahin, weil ich gerade nicht autofahren darf (Neuroleptika, grrr). Aber es ist ja gesund, sofern man seinen Weg nicht durchs dichteste Verkehrsgetöse wählt, man erlebt die Landschaft intensiver -- die wunderschöne Landschaft, und beim Gehen stellt sich Gehlassenheit ein. Man kommt zur Ruhe.
Ich chille die Gartenwuselei. Jetzt hab ich tatsächlich einen Moment innehalten müssen, denn ich versuche das Wort "Gartenarbeit" zu verhindern. Es ist stellenweise eine wüste Plackerei, aber keine Arbeit, denn niemand zwingt mich dazu, den halben Garten auf links zu stülpen, hier die Soden auszustechen, da mit ihnen einen Hügel zu schichten oder eine Mulde auszufüllen.
Ich chille, dass das Rotkehlchen beständig vorbei schaut und mutig Regenwürmer fängt, die ich mit umgedrehten Soden zutage fördere. Wie viele Regenwürmer passen in ein Rotkehlchen? Ich habe es noch nicht herausgefunden. Kann ja auch sein, dass es zwei Rotkehlchen sind. Oder mehrere. Allerdings … irgendwie glaub ich, dass es nur eins ist. Manchmal nenne ich es auch mein Krachkehlchen. Ich weise es zurecht, und manchmal zwitschert es dann ein schönes Lied. Jetzt ist es viel entspannter als zur Brutzeit.
Ich chille den Spätsommer … ääähhh, Frühherbst … nee, wie soll man diese prachtvolle Jahreszeit nennen? Ich nenne sie mal … LOVEmber. Mein Waldkalender zeigt übrigens gerade ein prachtvolles Novemberbild. Vielleicht zeige ich es dir.
Ich chille meine Rudbeckia und die Coreopsis, die allen Sortenbeschreibungen zum Trotz blüht und blüht und blüht.
Hier siehst du sie neben meinem endlich fertig gestellten Hügel. Oben drauf habe ich eine dünne Schicht ausgelaugter Komposterde aus dem Gewächshaus gestreut, deswegen ist alles so schön einheitlich. Die Erde war in ausreichender Menge vorhanden und außerdem trocken.
Hier siehst du den Hügel von seiner anderen Seite und die blühfreudigste Rudbeckia, die ich bis dahin getroffen habe.
Ich chille, dass ich endlich die Krokusse in der Erde habe. Ich habe sicher fünf Anläufe gebraucht, immer kam etwas dazwischen.
Sie sitzen in großen Gruppen gleich unter der Ex-Gewächshauserde. Etwas tiefer, da wo die Stöckchen stecken, sind frostharte Gladiolen, Fritillarien, Tulpen und Narzissen, ebenfalls in größeren Mengen. Einige von ihnen winkten mir schon ein paar Wochen im Keller entgegen. Ich hoffe, sie haben jetzt begriffen, dass ihre Zeit noch nicht gekommen ist -- auch wenn die 8cm Pflanztiefe im schwindenden Tageslicht stellenweise sehr willkürlich definiert wurden.
Ich chille, dass ich die Hostien unter dem roten Baum habe (pardon, liebe Katholiken, ich kann zur Hosta keine andere Mehrzahl mehr bilden). Beim nächsten Gartenbesuch wird sich eine Helleborus dazu gesellen, habe heute bei Firma K. eine erstanden.
Ich chille, falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte, dass ich diesen Garten habe. Ehrlich, ich wüsste nicht, wie ich mein Leben sonst machen würde ohne diesen himmlisch-erdigen Ort. Ich habe dort meine Erdung gefunden. Ich erfahre dort Resonanz. Der Garten ist mein Ruhepol, von dem ich dreckig und ausgelaugt und glücklich heimkehre.
Chillst du es?
Adventsreihe :: Beobachten
vor 1 Tag
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Nur Mut. So ein Kommentarfeld beißt nicht.