Sonntag, 20. Januar 2013

starkes Bekenntnis

Heute gibt es einen langen Text zu lesen, der mir zugeschickt wurde. Ich kenne den Schreiber und seine Familie. Weil er mich drum gebeten hat, habe ich die Orts- und Personennamen verändert.
Er hat das Bekenntnis letzten November zur Taufe seiner Tochter Anna abgelegt.

Wir haben ein außergewöhnliches Kind. Nun halten Eltern ihre Kinder immer für außergewöhnlich, aber unsere Tochter ist es in speziellem Sinn, denn sie hat das Down-Syndrom.
Ungefähr in der zwanzigsten Woche der Schwangerschaft hatte meine Frau eine Ultraschall-Feinuntersuchung, bei der die Organe und Knochen des Embryos genau angeschaut und zum Teil sogar vermessen werden. Bei diesem Termin stellte sich heraus, das unsere Tochter einen komplexen Herzfehler hat. In diesem Zusammenhang wurde uns eröffnet, das ca. 50% der Kinder mit diesem Herzfehler auch ein Down-Syndrom haben. Wir hatten dann die Möglichkeit durch eine Fruchtwasser-Untersuchung zu klären, ob sie tatsächlich ein Down-Syndrom hat oder nicht. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit haben wir uns gegen die Untersuchung entschieden, um die Schwangerschaft nicht unnötig zu gefährden und weil klar war, dass wir das Kind in jedem Fall bekommen wollten. Es blieb also die Ungewissheit bestehen, ob sie tatsächlich behindert ist oder nicht.
Für uns war die ganze Situation sehr gnädig, weil wir ja bis zur Geburt noch einige Monate Zeit hatten, uns damit zu beschäftigen und darauf vor zu bereiten. Ich war damals noch bei den Jesus-Freaks in Remscheid und wir haben darüber nachgedacht, ob wir in der Gemeinde dafür beten lassen sollten, dass sie gesund zur Welt kommt. Wir hatten jedoch beide das Gefühl, dass das nicht passend wäre. Überhaupt wurden einige Fragen, Zweifel und Konflikte in dieser Zeit bei uns ausgelöst, die teilweise bis heute nicht endgültig geklärt sind. Zum Beispiel die Frage, wie viel hilft Gebet wirklich? Kann ich, wenn es irgendeine Herausforderung im Leben gibt, diese einfach wegbeten? Ist alles, was mir nicht in den Kram passt und sich unangenehm anfühlt, grundsätzlich vom Teufel und darum böse, oder kann es vielleicht sein, dass Gott mir eine Aufgabe stellt, an der ich wachsen kann? Wenn ich dann dagegen anbete, wehre ich mich doch gegen Gottes Förder- und Wachstumsprogramm für mich.
Außerdem heißt es ja in der Schrift, dass unser Vater im Himmel alles weiß, bevor wir Ihn bitten. Muss ich Ihm dann noch extra erzählen, dass unser Kind möglicherweise behindert ist und wir das nicht wollen und Er es deshalb ohne Behinderung machen soll? Dann heißt es aber auch wieder: Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet… Also wenn wir viel mehr und viel intensiver dafür gebetet hätten, wäre sie dann heute nicht behindert??? Mit solchen Gedanken gerät man ganz schnell in Sackgassen hinein, wo es dann nicht mehr weitergeht.
Wir bekamen in dieser Zeit ein Wort von Gott, das uns sehr ermutigt und getröstet hat, nämlich den Psalm 139. Ich zitiere zwei für uns wichtige Verse aus diesem Psalm: „Du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe, es war Dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.“
Wir bekamen den starken Trost und die Zuversicht, dass Gott die ganze Sache überschaut und sie bei Ihm in guten Händen ist.
Dann hatten wir uns letzten Herbst zum Glaubenskurs angemeldet, weil wir uns mit der Frage beschäftigten uns der Gemeinde hier in Katernberg anzuschließen. An einem Abend sprach Bodo Beuscher über den Weg Jesu ans Kreuz, Seinen Gehorsam und Seine freiwillige Erniedrigung unter den Willen des Vaters. Irgendwie hatte dieses Thema mich sehr berührt und so sprach ich mit meiner Frau Miriam darüber auf dem Heimweg und den Rest des Abends. Irgendwann standen wir dann zähneputzend im Bad und mir wurde eine Sache klar, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte. Mir fiel nämlich ein Gottesdienst ein, bei dem Peter Gohl mit einem Diavortrag von einer Missionsreise in den Kongo berichtet hat. Es war ganz spannend und witzig, sehr interessant, so wie eben seine Vorträge sind. Er hatte verschiedene Projekte während dieser Reise, aber sein eigentliches Anliegen war eine Gruppe von Gemeinden und Pastoren, die sich aus irgendeinem Grunde von den anderen Gemeinden abgespalten haben, weil sie sich für was besseres hielten. Peter hatte einen Schmerz wegen dieser angespannten Situation und er wollte mit ihnen ins Gespräch kommen, um vielleicht zu schlichten und den Frieden wieder herzustellen. So fuhr er zwei Tage als Beifahrer auf einem Motorrad durch den Urwald unter extremen Strapazen, um sich mit den Pastoren dort zu treffen. Sie empfingen ihn sehr kühl, distanziert und herablassend, und er konnte nichts ausrichten. Dann musste er die ganze Strecke wieder zurück, wieder zwei Tage hinten auf dem Motorrad, über Stock und Stein, durch Flüsse, über Berge, 185 Kilometer ohne vernünftige Straße und vor allem ohne Erfolg.
Ich muss jetzt mal kurz einfügen, dass ich aus der charismatischen Szene komme und ich bin sicherlich auch überzeugter Charismatiker. Wir sind ja die Leute, die im Namen Jesu gewaltige Taten tun, immer nur Siege kennen und nie Niederlagen einstecken müssen, sämtliche Kranken heilen, Besessene Leute befreien, aus Häusern, Dörfern, Städten und sogar ganzen Ländern gewaltige Dämonenheere in die Flucht schlagen, wir können sogar Tote auferwecken und manche von uns müssen gar nicht sterben, sondern werden direkt auf feurigen Wagen in den Himmel entrückt. Allerdings habe ich auch eine Prägung mitbekommen, die nicht unbedingt hilfreich ist.
An dem Abend, als ich mich mit Miriam im Bad unterhielt, fiel mir wieder ein, dass ich beim Vortrag von Peter Gohl für mich im tiefsten Inneren gedacht habe: Ja, wenn der in der Kraft des Heiligen Geistes dahin gegangen wäre, dann hätte er was erreichen können. Wahrscheinlich kennt er diese Power nicht, deshalb war er erfolglos.
Mir wurde richtig plastisch vor Augen gestellt, wie überheblich und dumm diese Gedanken sind und dann wurde mir noch etwas klar, was ich bei dem Vortrag überhaupt nicht in seiner Bedeutung erfassen konnte: Während seines Vortrages und dieser „Misserfolgs-Story“ blendete Peter ein Dia ein mit einer Zeichnung oder einem Gemälde, auf dem man Jesus sehen konnte, wie er Sein Kreuz trägt auf dem Weg zur Kreuzigung. Peter berichtete davon, dass er natürlich frustriert war und enttäuscht von dieser unschönen Erfahrung die er gerade gemacht hatte. Aber als er hinten auf dem Motorrad saß und über die ganze Sache nachdachte, war es ihm, als würde Jesus ihn fragen: Willst du diese Niederlage um meinetwillen auf dich nehmen und tragen? Auch ich habe wie ein Versager ausgesehen und alle dachten: Das war ein erfolgloser Weg … Er hat ja gut angefangen, aber am Ende war es dann doch nur eine Seifenblase … Bist du bereit dein Kreuz mir nach zu tragen?
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf und sehr deutlich sah ich meinen Hochmut, der mich daran gehindert hatte zu erkennen, dass Gott uns eben nicht misst nach Erfolg oder Misserfolg, sondern das Er nach einem Herz sucht, das Ihn liebt und Ihm folgt durch Höhen und Tiefen. Für mich wurde das zu einem neuen Blickwinkel, das Gottes Weg durchaus auch wie ein Misserfolg oder ein Versagen aussehen kann, der aber in Seinen Augen einen ganz, ganz hohen Wert hat. Mit diesen Gedanken gingen wir an dem Abend schlafen und dann einige Zeit später meinte Miriam: Du, ich habe das Gefühl, als wenn Gott uns fragen würde: Wenn ich euch ein behindertes Kind anvertrauen möchte, seid ihr bereit diesen Weg der Schwachheit zu beschreiten? Wollt ihr euch mehr abhängig von mir machen? Seid ihr bereit, mir die Kontrolle zu überlassen? Wollt ihr Mir zutrauen, dass ich euch auf diesem Wege meine Treue und Fürsorge zeigen darf?
Puh, dass ist doch eine Zumutung, oder? Ich dachte immer: mit Gott können wir alles überwinden, er öffnet sämtliche Wege, wir sind mit Ihm immer auf der Überholspur unterwegs, immerhin leben wir doch in Seiner Auferstehungskraft! Und jetzt fragt Er uns, ob wir in die entgegen gesetzte Richtung gehen wollen, wie wir es gar nicht geplant hatten!
Aber ist es nicht auch eine Zumutung, dass Gott Seinen Sohn ans Kreuz schickt? Ist es nicht eine Zumutung, dass Abraham den Sohn der Verheißung opfern soll? Ist es nicht eine Zumutung, dass Gott Sein riesiges Volk ohne besondere Vorräte und Waffen durch einen alten Mann für Jahrzehnte in die Wüste führt?
Die eigentliche Herausforderung besteht doch darin, ob wir im ganz alltäglichen Leben daran festhalten können, das Gott wirklich den Überblick hat, ob Ihm die Dinge wirklich nicht aus dem Ruder laufen, ob Er noch Möglichkeiten hat, wo wir keine mehr sehen.
Wir haben nicht mit voller Begeisterung und ohne Zögern eine Antwort auf diese Anfrage gehabt, aber mit einigem Zaudern und Zagen sind wir dann an einen Punkt gekommen, an dem wir sagen konnten: Herr, wenn es Dein Weg für uns ist, und wenn Du auf diesem Weg Schätze für uns bereit hältst, die sich uns sonst nicht erschließen, dann wollen wir diesen Weg mit Dir gehen, dann sagen wir „Ja“ zu Dir.
Am 12. Januar wurde unsere kleine Anna geboren und das war ein sehr faszinierendes Erlebnis für mich. Direkt nach der Geburt sagte uns ein anwesender Kinderkardiologe auf nette Art, dass alle sichtbaren Symptome das Down-Syndrom bestätigen. Für mich war dann diese endgültige Gewissheit doch sehr schmerzhaft ich brauchte noch mal einen ganzen Tag, bis ich mich dazu durchringen konnte, sie ganz und so wie sie ist anzunehmen. Aber als dieser Prozess durch war, kriegte ich sehr schnell so etwas wie eine echte Herzerweiterung und ich wurde so voll mit Liebe zu ihr, das ich das Gefühl hatte, mehr geht nicht. Und das ist für mich schon eine erstaunliche Erfahrung, ich hatte früher eigentlich nie mit behinderten Menschen zu tun und daher alle möglichen Vorbehalte, Unsicherheiten und Hemmnisse gegenüber geistig Behinderten. Und jetzt erlebe ich, das ihre Behinderung überhaupt keine Einschränkung ist für die Qualität unserer Beziehung. Wir haben richtig viel Spaß mit ihr und eine Qualität, die es ohne sie einfach nicht gäbe. Für mich hat sich auch die Sicht auf Behinderte grundsätzlich geändert und es fällt mir inzwischen gar nicht mehr schwer, auf Menschen mit Down-Syndrom zuzugehen und sie anzusprechen. Diese Erfahrungen hätte ich ohne meine Tochter sicherlich nicht gemacht.

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Nur Mut. So ein Kommentarfeld beißt nicht.